Tagesexkursion an jüdische Orte im Landkreis Miltenberg, 15.03.2015
Die neunte Exkursion des Kooperationsprojektes „Landjudentum in Unterfranken“ führte am Sonntag, den 15. März 2015 in den Landkreis Miltenberg. Besucht wurden mit 52 Teilnehmerinnen und Teilnehmern Miltenberg und Kleinheubach.
Die Stadt Miltenberg wurde im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Schon Mitte des 13. Jahrhunderts siedelten sich hier Juden an, die das Kreditgeschäft übernahmen und am Ende des Jahrhunderts in der Lage waren, eine erste Synagoge mit einem jüdischen Ritualbad im Keller (sog. Mikwe) zu errichten: Sie befindet sich sehr zentral am Nordabhang des Schlossbergs auf dem heutigen Grundstück der Brauerei Kaltloch. Ihre Lage und Größe verraten eine kleine, doch wohlhabende jüdische Gemeinde.
Während der Verfolgungen der Pestzeit 1348/49 ging die Gemeinde unter. Ihr Besitz, insbesondere Schuldscheine und das Synagogengebäude, fielen an das Erzstift. Nach Ende der Verfolgung kam es erst allmählich zur Wiederbesiedlung Miltenbergs durch Juden. Im Jahr 1631 erfolgte eine weitere, vorübergehende Vertreibung. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts nahm die Zahl der jüdischen Bevölkerung in Miltenberg wieder zu. Die jüdische Gemeinde kaufte im Jahr 1751 ihre mittelalterliche Synagoge mit Ausnahme des Kellers – und damit ihrer Mikwe – zurück. Ein neues Ritualbad wurde in einem jüdischen Privathaus eingerichtet. Im Jahr 1851 wurde die mittelalterliche Synagoge aufgrund ihrer Baufälligkeit durch einen Betsaal in einem neu erworbenen Gebäude in der Riesengasse ersetzt. Auf der Suche nach einem Platz für eine neue Synagoge wurde bewusst auf die Möglichkeit geachtet, eine Mikwe mitunterzubringen: Schließlich fand die jüdische Gemeinde einen entsprechenden Ort mit dem Fischerbrunnen an der Mainstraße, den die jüdische Gemeinde kaufte und über dem die neue Synagoge mit Mikwe errichtet wurde. Ihre Einweihung im Jahr 1904 geschah unter Anteilnahme der ganzen Stadt.
Im Novemberpogromen 1938 kam es zu Plünderungen der jüdischen Häuser und der Synagoge. Die Shoa kostete 30 bis 35 jüdische Mitbürger Miltenbergs das Leben.
Gästeführer Wilhelm Otto Keller zeigte der Exkursionsgruppe die ehemaligen Orte und verbliebenen Spuren jüdischen Lebens in Miltenberg. Nach einem Besuch der Judaica-Ausstellung in den Museen Miltenberg führte er die Gruppe auch zum alten jüdischen Friedhof am Burgweg, der vermutlich im 15./16. Jahrhundert unmittelbar unterhalb der Stadtmauer angelegt worden ist. Eine Besonderheit des Friedhofs sind die drei „Nischengräber“, deren Platz beim Bau einer Straße überwölbt wurde.
Nach einer Pause in Miltenberg wurde das Programm in Kleinheubach fortgesetzt. Hier bestand bis ins Jahr 1942 eine jüdische Gemeinde, die bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückreicht. Doch auch bereits im 14. Jahrhundert sind schon einmal jüdische Personen am Ort erwähnt.
Im Jahr 1728 soll eine erste Synagoge erbaut worden sein, ihr ging vermutlich ein Betraum in einem jüdischen Privathaus voraus. Eine neue Synagoge in der Gartenstraße 7 wurde 1808 errichtet, möglicherweise an derselben Stelle wie der Vorgängerbau, da die Mikwe im Untergeschoss der neuen Synagoge schon in einem sehr schlechten Zustand war und daher wahrscheinlich von der ersten Synagoge übernommen wurde. Aufgrund ihrer Baufälligkeit wurde die Mikwe schließlich 1837 geschlossen und zugemauert. Im März 1838 beschloss die jüdische Gemeinde den Bau einer neuen Mikwe, wofür sie ein Grundstück am Rüdenauer Bach erwarb. Die Mikwe kostete insgesamt 350 Gulden und sie wurde bis ins Jahr 1927 benutzt. Sie geriet in Vergessenheit und wurde erst durch Altbürgermeister Bernhard Holl „wiederentdeckt“ und restauriert.
Nach der Besichtigung der neuen Mikwe führte Gästeführerin Gabriele Enders die Exkursionsgruppe zum jüdischen Friedhof von Kleinheubach. Dieser wurde im Jahr 1730 im Heubacher Wald angelegt, davor wurden die Kleinheubacher Juden auf dem jüdischen Friedhof im hessischen Michelstadt im Odenwaldkreis beigesetzt. Auf 2860 Quadratmetern sind 186 Grabsteine erhalten. Da hier das seltene Knabenkraut blüht, steht der Friedhof nicht nur unter Denkmalschutz, sondern auch unter Naturschutz. Neben den historischen Hintergründen erläuterte Frau Enders auch die typischen Symbole jüdischer Grabsteine, wie die segnende Hände, die auf den Stamm der Cohen (Priestergeschlecht) hinweisen, und zeigte das Grab von Julius Sichel, verstorben am 9. Oktober 1941, dessen Grabstein erst nach dem Krieg gesetzt wurde.
Einmal mehr diente auch diese Exkursion dazu, Interessierten die Möglichkeit zu bieten, die sichtbaren Spuren jüdischer Geschichte im Raum Unterfranken kennen zu lernen. Bisher führten die Exkursionen in die Landkreise Haßberge, Würzburg, Main-Spessart, Kitzingen und Miltenberg sowie in die Stadt Aschaffenburg und den Raum Schweinfurt. Für das Kooperationsprojekt erfüllen die Exkursionen jedoch zugleich die Funktion, die Grundlagen für die touristische Erschließung der jüdischen Landschaft zu leisten, wie sie in Form von Themenwegen, Broschüren oder App’s vorbereitet werden.
Eine abschließende Exkursion befindet sich für den Mai 2015 in Planung und soll in die Landkreise Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen führen.